Ein Interview mit Prof. Dr. Otto Wulff Bundesvorsitzender der Senioren-Union

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Prof. Dr. Otto Wulff Bundesvorsitzender der Senioren-Union fordert CDU zur Umkehr auf

Ein Interview von Denis Huber

Ende der Woche findet der CDU-Parteitag in Leipzig statt. Während sich im Vorfeld viel um Personalien dreht, fordert Otto Wulff, der 86-jährige Vorsitzende der Senioren-Union, im Interview ein Ende dieser Diskussionen und wünscht sich vor allem eins: mehr direkten Austausch mit den Bürgern, den auch die Parteispitze sträflich vernachlässigt habe.

Sein Vater war Gründungsmitglied der CDU, er selbst trat 1953, am Tag seines Abiturs, in die Union ein – und ist bis heute stolzes Mitglied geblieben. Seit 17 Jahren ist Professor Doktor Otto Wulff Vorstand der Senioren-Union und kennt trotz seiner inzwischen 86 Lebensjahre keine Ruhepausen.

Kurz vor dem CDU-Parteitag in Leipzig, auf dem Wulff nicht nur, aber vor allem die Interessen der über 60-Jährigen vertreten wird, findet er trotzdem die Zeit für ein Interview. Wulff, der sich selbst als „alten, aber noch sehr lebendigen Esel“ beschreibt, richtet vor dem Treffen der Partei klare und vor allem mahnende Worte an seine Parteikollegen: Redet wieder mehr direkt mit den Bürgern.

Herr Wulff, Sie sind fast so lang Vorsitzender der Senioren-Union (17 Jahre) wie Angela Merkel CDU-Vorsitzende (18 Jahre) war. Wie hat sich die Union unter ihr verändert, vor allem im Vergleich zu ihren Vorgängern Kohl und Schäuble?

Otto Wulff: Manches in der Partei ist sehr abstrakt geworden, nicht mehr so konkret wie einstmals. Früher war die Partei wesentlich aktiver vor Ort, im Sinne von Versammlungen und der persönlichen Begegnung mit dem Wähler. Das hat sich gelegt, weil man meint, man könne die Menschen im Wesentlichen durch die visuellen Medien und die digitalen Systeme erreichen. Das stimmt aber nicht. Ich verfechte seit Jahren die Meinung, die CDU hat die persönliche Ansprache und das Zuhören vor Ort in der unmittelbaren Begegnung mit den Bürgern sträflich verpennt. Hier ist Umkehr geboten, und zwar sofort.

Wie meinen Sie das?

Das heißt, wir wissen zuweilen nicht, was die Leute denken. Wir schauen auf die Umfragen und erfahren, was die Leute für Meinungen haben. Wir sind aber nicht an der Meinungsbildung beteiligt. Es macht den guten Politiker aus, dass er Positionen benennt, auf die sich der Meinungsstreit konzentriert und dann im unmittelbaren Kontakt zum Wähler im Disput seine Vorstellungen vertritt und für seine Politik wirbt. Das schafft Vertrauen und Anerkennung. Wir haben die Fähigkeit verloren, auf die Bürger zuzugehen. Wir schauen dem Volk, um mit Luther zu sprechen, nicht mehr genug aufs Maul und meinen, die Talkshow verspreche Erfolge.

Und das war früher anders?

Früher ist die CDU beispielsweise mit ihren Vereinigungen anders umgegangen, hat sich um sie nachdrücklich bemüht, sie aktiv gestärkt. Natürlich gab es da auch unterschiedliche Meinungen, und Kompromisse wurden gefunden, die trugen. Aber gerade dadurch wurde die CDU als Volkspartei interessant und übte Anziehungskraft aus auf alle Gruppen in der großen politischen Mitte. Das wird gänzlich verschwinden, wenn wir uns nicht mehr kümmern.

Meinungsbildung über die Polittalkshows funktioniert nicht?

Das Fernsehen schafft kaum eine persönliche Beziehung zum Menschen. Man hat keine Möglichkeit, mit einem Menschen unmittelbar zu argumentieren. Ich bin ein großer Anhänger des Theaters. Die Wirkung eines Menschen auf einer Bühne ist viel intensiver, weil der Zuschauer es unmittelbar mit agierenden Menschen zu tun hat. Emotionen durch die Röhre, nein Danke. Beim Fernsehen ist immer ein Filter zwischen den Menschen, der Abstand hält. Das gilt auch zwischen dem Politiker und dem Bürger.

Inwiefern?

Wir müssen wieder näher zusammenrücken, das hält uns die Radikalisierung vom Leib. Und wenn einer meint, die Menschen kämen nicht mehr zu Veranstaltungen mit Politikern, dann sage ich: Die kommen dann nicht, wenn die Veranstaltung langweilig ist. Die CDU wird nicht attraktiv über die Talkshows, aber sie wird es wieder schaffen mit echten emotionalen Auseinandersetzungen, wo auch mal die Fetzen fliegen und man trotzdem das Zeug hat, zusammenzufinden. So etwas findet Anklang.

Seit knapp einem Jahr heißt die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer. Sehen Sie bei ihr diesen Weg?

Sie besitzt Durchsetzungskraft, und sie hat die Fähigkeit, zuzuhören. Ich habe bei Frau KrampKarrenbauer den Eindruck, soweit ich mit ihr zu tun hatte, dass sie die Probleme sieht und es nicht allein bei ihnen belässt.

Was kann die neue Vorsitzende denn noch nicht so gut wie Frau Merkel?

Ich verteile keine Prädikate. Jeder muss sich selbst in der Aufgabe der Parteileitung zurechtfinden. Ich biete die Arbeit der Senioren-Union an, besonders auch meine persönlich. Aktuelle Personaldiskussionen sind völlig überflüssig, solidarische Arbeit wird verlangt. Die sollte die Vorsitzende als vordringliche Parteiarbeit einfordern. Politische Pirouettentänze sind mir ein Gräuel.

Die Personaldiskussion um Friedrich Merz wird schon etwas länger geführt. Könnte er in verantwortungsvoller Position der CDU etwas geben, was ihr derzeit fehlt?

Friedrich Merz wird in der Partei gebraucht, wie jeder, der den Erfolg der CDU will. Wichtig ist aber, das musste ich selbst häufig in meinen Leben immer wieder lernen, dass man sich in der Partei auch mal unterordnen muss und trotzdem weitermacht. Wir haben viele Gebiete, wo wir kluge Leute brauchen. Ich kenne Friedrich Merz schon seit der Zeit, als er in der Jungen Union war und bei einem damaligen Bundestagskollegen als Assistent hervorragende Arbeit geleistet hat. Er ist ein kluger, gebildeter, strategisch begabter Mann. So einer wird von der CDU immer gebraucht. Ein für alle Mal muss klar sein: Wir brauchen jeden, der sich für die Partei und unsere Ziele einsetzt, eben Leute, die gerne für die CDU arbeiten, an welcher Stelle auch immer.

Was erwarten Sie für eine Stimmung auf dem bevorstehenden Parteitag?

Ich hoffe, dass es ein Arbeitsparteitag wird, der uns inhaltlich und in der Sympathie beim Wähler weiterbringt. Die Inhalte müssen so formuliert werden, dass die Leute sie verstehen und wissen, mit welcher Partei sie es zu tun haben, und nicht mit einer Ansammlung von Personen, die mit ihrem Auftritt vor den Kameras allein Politik gestalten wollen.

Die JU hat eine Urwahl für die Kanzlerkandidatur ins Spiel gebracht. Was halten Sie davon?

Ich bin dagegen. Und ich sage Ihnen auch warum: Eine Urwahl setzt voraus, dass jeder die Möglichkeit hat, die Kandidaten wenn möglich persönlich zu kennen. Sehen Sie sich mal das Ergebnis der SPD an. Gerademal etwas über die Hälfte der Partei ist zur Wahl gegangen.

Aber man könnte ja, wie im vergangen Jahr bei der Wahl des Vorsitzes, die Delegierten abstimmen lassen.

Auf dem übernächsten Parteitag 2020 wird über den Vorsitz der CDU neu entschieden. Dabei kann man natürlich davon ausgehen, dass der oder die Vorsitzende auch Kanzlerkandidat oder Kanzlerkandidatin wird. Alles andere geht an der Sache vorbei. Wir können ja nicht noch pausenlos Personaldebatten bis kurz vor der Wahl führen. Da muss man sich ja nur die SPD ansehen: Wollen wir so enden? Unsere erste Aufgabe muss sein, wie wir unsere Politik dem Bürger wieder näher bringen können. Danach können wir einen Kanzlerkandidaten wählen.

2008 hatten Sie mit dem damaligen Bundesvorsitzenden der Jungen Union, Philipp Mißfelder, den Initiativkreis „Zusammenhalt der Generationen“ geleitet. Aktuell sieht es mit der Zusammenarbeit mit der JU eher mau aus. Warum ist das so?

Wenn sich nicht beide Seiten ernsthaft darum kümmern, dann schläft solch ein hervorragendes Tandem ein. Die Veranstaltungen mit Mißfelder und mir damals waren ein großer Erfolg, wohl gemerkt für die ganze Union, einschließlich Kanzlerin. Natürlich hatten wir oft unterschiedliche Ansichten, aber die Leute wollten und konnten selbst sehen, wie ein alter, aber noch sehr lebendiger Esel wie ich und ein junger, engagierter, sympathischer Mann in der Lage sind, Kompromisse zu finden und gemeinsam für die Partei zu kämpfen, und zwar erfolgreich. Das hatte auch einen positiven Effekt nach außen, den viele in der Union vergessen haben. Stattdessen räsonierten die Kläffer über eine „alte Partei“, die ohne „die Alten“ nicht zu Amt und Würden gekommen wären.

Ist die CDU denn eine „alte“ Partei?

Häufig ist von „Überalterung“ die Rede. Ja, Moment mal: Was heißt denn eigentlich Überalterung? Brauchen wir die Älteren oder brauchen wir sie nicht? Wenn wir sie nicht hätten, gäbe es den Wählerstimmen nach einige CDU-Ministerpräsidenten weniger und vielleicht auch keine CDUBundeskanzlerin. Damit das völlig klar ist, die Senioren-Union lässt sich nicht permanent von juvenilen Wichtigtuern abqualifizieren, die Union sei überaltert. Alter oder Überalterung werden zum Synonym für Rückschritt und Stillstand, das lassen wir uns nicht bieten.

Warum gibt es heute Veranstaltungen wie die mit Ihnen und Mißfelder nicht mehr?

Es ist leider zu kurz gekommen in den letzten Jahren. Ich hätte mir schon gewünscht, dass von der Spitze der CDU ein Signal ausgegangen wäre nach dem Motto: Los Leute, rührt euch mal wieder. Etwas lebendiger, mit den Feinden der Demokratie redet man nicht pflaumenweich. Demokratie überlebt nicht, weil sie gesetzlich verordnet ist, sondern weil man für sie kämpfen muss, jeden Tag. Mein Gott, was haben die Alten von heute, als sie noch jung waren, nicht alles für die CDU getan. Schimpft nicht über die Alten, tut mehr.

Welche Seite ist denn verantwortlich dafür, dass das Verhältnis eingeschlafen ist?

Ich mache jetzt keine persönlichen Schuldzuweisungen, die treffen auch mich. Alle in der Partei sind aufgerufen, mehr zu tun, sich mehr zu kümmern, wohlgemerkt Junge Union, Senioren-Union, Frauen Union, Mittelstandsvereinigung und Sozialausschüsse.

Die GroKo hat sich auf einen Kompromiss bei der Grundrente geeinigt. Was halten Sie davon?

Naja, wie es halt so ist bei einem Kompromiss: Ich habe Einiges auszusetzen, aber ich weiß auch, dass Zufriedenheit Teil der Demokratie ist. Ich kann damit leben und bin zufrieden, weil ich weiß, dass es in dieser Situation so und nicht anders ging.

Neben der Grundrente hat die GroKo vor einigen Wochen mit dem Klimapaket ein weiteres großes Projekt auf den Weg gebracht. Sind darin die Sorgen und Bedürfnisse älterer Menschen ausreichend berücksichtigt?

Die Wünsche in der Klimapolitik sind groß, das kann ich alles verstehen. Aber ich kann zum Beispiel nicht für regenerative Energien sein und dann das Windrad, das sichtbar vor meiner Haustür steht, verteufeln. Wenn der Klimaschutz funktionieren soll, müssen wir uns selbst auch mehr zumuten als bisher. Die Wähler können nicht erwarten, dass die Politiker sich zum Zauberer entwickeln. Aber wir können abwägen und den Bürgern die nötigen Maßnahmen erklären. Und das bitte nicht nur in Talkshows mit Teilnehmern, die schon bald dafür Pensionsansprüche bei den Sendern anmelden können.

Erklärt die CDU ihre Politik nicht ausreichend?

Politik kann nicht „par ordre du mufti“ verordnet werden. Man sollte einmal die ganze Partei bundesweit dazu auffordern, in jedem der 327 Kreisverbände in einem Monat Veranstaltungen zu machen und die Leute dazu einladen. Die Bundestagsabgeordneten, die Landtagsabgeordneten, die Kreistagsabgeordneten und alle Kommunalpolitiker sollten erscheinen und sich der unmittelbaren Diskussion mit den Bürgern stellen. So etwas ist nicht zu viel verlangt, man sollte es jedenfalls wagen.

Aber was, wenn die Bürger nicht zu diesen Veranstaltungen kommen?

Dann kommen sie einmal nicht, beim nächsten Mal kommen sie aber doch. Das ist wie beim Fußballspiel: Macht man es spannend, kommen die Zuschauer.

Die 16-jährige Greta Thunberg hat es geschafft, aus ihrem Protest eine weltweite Bewegung in Gang zu setzen, Millionen gehen weltweit auf die Straße. Was halten Sie vor ihr?

Ich kenne sie zu wenig, um mir ein präzises Urteil erlauben zu können. Aber anzuerkennen ist es schon, dass sie es geschafft hat, junge Leute bei den drängenden Fragen zum Klima- und Umweltschutz zum Engagement aufzufordern und die Politiker zu drängen, sich mehr als bisher mit dem Problem zu befassen. Aber das hätten wir in der Union noch besser gekonnt, wenn wir nicht zu träge wären, uns rechtzeitig zu bewegen und wie früher vor Ort zu erscheinen und uns zu stellen. Die Leute dort warten auf Initiativen, Ideen sind gefragt. Umweltschutz und wirtschaftliches Wachstum zu vereinen, dass kann niemand besser als die Union. Manchmal habe ich den Eindruck, wir brauchen mehr Ältere in der Politik.

Die Senioren-Union fordert, das Verbot der Altersdiskriminierung im Grundgesetz zu verankern. Wo fühlen Sie sich diskriminiert?

Ich persönlich fühle mich nicht diskriminiert, aber ich weiß von vielen Älteren, dass sie diskriminiert werden. Wenn ein älterer Mensch sich im alltäglichen Leben bewegt, wird er nicht selten behandelt als eine Person, die sich nicht wehren kann, die man nicht mehr braucht, die überflüssig ist, die zu viel kostet. Diesen Vorurteilen muss verfassungsrechtlich entgegengewirkt werden.

Ist das wirklich so oder übertreiben Sie nicht etwas?

Ich sage das deshalb besonders drastisch, weil Vorurteile sich steigern können und die Älteren damit in eine Ecke gedrängt werden, in die sie nicht gehören. Die Koalition der Generationen gibt die richtige Antwort, wie sie Senioren-Union und Junge Union schon einmal mit Erfolg praktiziert haben. Wir in der Senioren-Union wollen nicht nur den Dialog, wir wollen die „Union der Generationen“, wir wollen bleiben, was wir sind, die erfolgreichste Volkspartei der europäischen Nachkriegsgeschichte.